M.A.Still

“Tötungsfreie” Ernährung und die Kinder

M.A.Still

Selbst zur Liebe werden und alle Lebensgrundsätze vom Standpunkt der Liebe aus umdeuten: Darin besteht die spirituelle Umwandlung nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern.

In diesem Artikel möchte ich einen bestimmten Aspekt der Liebe ansprechen, und zwar das Mitleid. Dieses ist undenkbar ohne den Wechsel zu einer “tötungsfreien” Ernährung, und zwar einen aus ethischen Beweggründen.

Ich erinnere mich, dass ich, nachdem ich das Buch W.W.Antonows “Wie erkennt man Gott” [1] gelesen und das darin Geschriebene vollständig akzeptiert hatte, sofort damit begann, mein ganzes “Wertesystem” zu revidieren. Zu den ersten Schritten gehörte der Übergang zu einer “tötungsfreien Ernährung”. Mehr als alles andere war ich darüber erschüttert, dass ich ja früher niemals selbstständig über das Thema nachgedacht hatte!

Wer in einem Geschäft Fleisch- und Fischprodukte kauft, weiß sehr gut, dass sie nicht in Beeten angebaut wurden. Für niemanden ist es auch ein Geheimnis, dass es die Körper getöteter Tiere sind.

Warum, wenn wir von der Tötung eines Menschen hören, schreien wir entsetzt: “Wie kann man denn jemandem nach dem Leben trachten! Es ist doch heilig!” Oder wenn jemand einen Hund oder eine Katze getötet hat, entrüsten wir uns wieder: “Ach, was für ein Unmensch!”

Warum nehmen wir denn dann alle so leicht die Tötungen anderer Tiere hin? Ich konnte lange nicht verstehen: Warum verletzt das uns nicht?

Als ich mir selbst diese Frage zu beantworten suchte, wurde mir klar, dass es nur ein Stereotyp, eine Denkschablone ist, welche die ganze Tragik des Problems vor unserem Herzen und unserem Geist verdeckt. Die meisten Menschen tragen an ihren Augen eine Art “Scheuklappen”.

Von der frühen Kindheit an, wenn die Eltern ihrem Kind die ersten Vorstellungen von der Welt geben, sagen sie ihm: “Die Eiche ist ein Baum, die Rose eine Blume, das Gras ist grün, Fleisch und Fisch ist Essen”. Und diese allerersten Basisinformationen, die dem Kind von den Eltern vermittelt wurden, werden gleichsam zu einem Axiom, das keinen Nachweis verlangt. Diese Informationen werden zu einer festen Grundlage, auf der ein Mensch später sein Verhältnis zur Welt aufbaut.

Als ich, bereits eine Erwachsene, endlich begriff, welch ein Verbrechen ich mein Leben lang an Tieren verübte, war ich bis auf die Tränen erschüttert. Ich war doch kein herzloser Mensch gewesen! Wie konnte ich nur zulassen, dass sie um meiner Geschmackslaunen willen leiden mussten?!

Und ich bin überzeugt, dass man den Kindern diese Information von den frühen Jahren an geben kann und muss. Natürlich darf man Kinder nicht zu einer “tötungsfreien” Ernährung zwingen. Es genügt, wenn man von Zeit zu Zeit, ohne aufdringlich zu werden, sich mit dem Kind über dieses Thema unterhält. Meine persönliche Erfahrung zeigt allerdings, dass man ein Kind in dieser Frage gar nicht erst zwingen muss. Wenn die Eltern sich selbst an ethische Normen halten, wenn die dem Prinzip der Liebe gemäß leben, dann nimmt das Kind diese Verhaltensnormen auf die für sich natürlichste Art und Weise an: durch Nachahmung. Am eigenen Beispiel zu erziehen ist eine der wertvollsten Erziehungsmethoden.

Als ich selbst zur “tötungsfreien” Ernährung wechselte, erklärte ich sofort meiner damals 4-jährigen Tochter, warum ich es getan hatte.

Ich erzählte ihr in einer ihr zugänglichen Form, woher Fleisch und Fisch kommen. Und durch welche Qual die Kühe, Schweinchen, Hühnchen gehen, und wie es dem Fisch geht, in den sich zuerst ein scharfer Haken hineinbohrt und wie er dann, aus dem Wasser gefischt, erstickt und stirbt…

Und meine Tochter, damals noch ganz klein, verstand und akzeptierte alles, was ich ihr erklärte.

Die vollkommen reine Ernährung kam freilich nicht auf Anhieb. Mitunter vergaß sie ihre Entscheidung, und auch im Kindergarten wollte natürlich niemand extra für sie separate Speisen zubereiten. Das ist auch normal, man darf einem Kleinen nicht Unmögliches abverlangen.

Mit dem Heranwachsen meiner Tochter, mit ihren eigenen Überlegungen zu diesem Thema, Gesprächen mit Erwachsenen und mit mir wurde dieses ethische Konzept — noch im Schulalter — ein Teil ihres Daseins, es wuchs gleichsam hinein in die eigene Lebensphilosophie des Kindes.

Bisweilen stellen Kinder, und nicht nur Kinder, die Frage: “Wir töten die Tiere doch nicht selbst. Worin liegt unsere Schuld?”

Ich erinnere mich, wie mir noch in der Kindheit einmal eine Erzählung eines der russischen Klassiker gelesen wurde über ein sentimentales Fräulein, vor deren Augen man einen Ferkel schlachtete. Zutiefst erschüttert, fiel sie ihn Ohnmacht. Doch abends am selben Tag aß sie bereits mit Appetit sein Fleisch. Ich verachtete sie damals ungeheuerlich und war sehr stolz darauf, dass ich nicht so bin! Welch ein Schlag es für mich war, in reiferen Jahren eingesehen zu haben, dass ich mich in nichts von ihr unterschied!

Ich hatte Tiere nicht mit meinen Händen getötet, aber ich begriff, dass ich vor ihnen weitaus sündhafter war als ein Jäger, der ein wildes Tier mit einem treffsicheren Schuss auf der Stelle niederstreckt. Denn um auf meinen Tisch zu kommen, mussten die Tiere ja zuerst durch eine “Fabrik des Todes” gehen, indem sie den Geruch des Blutes ihrer Artgenossen einatmeten und mit Entsetzen auf ihr eigenes furchtbares Ende warteten.

Wir alle geben, wenn wir Fleisch- oder Fischprodukte kaufen, damit unsere stille Zustimmung zur Tötung und zum qualvollen Tod von Tieren…

Die Frage von Mitleid und Liebe ist eine der ersten, die wir für uns selbst beantworten müssen, wenn wir den Anspruch darauf erheben, uns Gott so weit zu nähern, um Ihn kennen zu lernen. Ein Mensch, der schon in seiner frühen Kindheit das Gesetz der Liebe zu allem Lebenden, einschließlich des Prinzips des Mitleids und der Nicht-Schädigung, akzeptiert hat, wird viel fester auf dem Weg der Liebe stehen. Und er wird viel weiter auf diesem Weg kommen.*

Literatur

  1. Antonow W.W. — Wie erkennt man Gott. Die Autobiografie eines über Gott forschenden Wissenschaftlers. (In Russisch). Polus Verlag, SPB, 1999.
  2. Antonow W.W. — Ökologie des Menschen im multidimensionalen Raum. (In Russisch). Polus Verlag, SPB, 2000.
  3. Harmonie durch Vegetarismus. “Gesellschaft für vedische Kultur”. (In Russisch). SPB, 1996.

 

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